Tanja überlegt: Mit- oder gegeneinander?

 

Kommt man in einen x-beliebigen Pensionsstall, so gibt es dort verschiedenste Pferde zu sehen: Haflinger, Connemaras, Camarque, Isländer, Shettys, Hannoveraner, Oldenburger, Trakhener, Lusitanos, PREs, Schwarzwälder, Rheinländer, Shires, Araber, usw. Genauso unübersichtlich ist die Vielzahl der Besitzer: Männlein, Weiblein, Kinder, Teens, groß, klein, dick, dünn, blond, braun, Akademiker, Studenten, Angestellte, Selbständige, Arbeiter, Hilfskräfte, etc. Und genauso spalten sich auch die von diesen bevorzugten Reitsysteme auf. Man denke zusätzlich noch an die unüberschaubare Menge von Reitzubehör! Wie viele verschiedene Gebiss- oder Sattelarten mag es wohl geben?

 

Die vorgenannten Sparten ermöglichen eine wahnsinnig große Anzahl von Kombinationsmöglichkeiten.  Das ist doch einerseits wirklich klasse, weil jeder sich das heraussuchen kann, was ihm Spaß macht, wo er seine Vorlieben zeigen und ausleben kann. :-) Gleichermaßen macht diese Vielfalt aber auch leider engstirnig. Wie oft hört man von Streitigkeiten, die aus Schubladendenken heraus entstanden sind? :-( 

 

Woran liegt das? Zum einen sicherlich daran, daß etwas, das für die eine Pferd-/Reiterkombination vorteilhaft ist und wunderbar funktioniert, für einen anderen Reiter mit einem anderen Pferd nicht umsetzbar ist. Genauso kann die eine Therapie bei Pferd A anschlagen und helfen, bei Pferd B leider komplett ins Leere laufen. Kein Mensch gleicht dem anderen, genausowenig wie ein Pferd dem anderen. Da liegt es doch einerseits absolut auf der Hand, daß nicht alles nach Schema F laufen kann. Dennoch sind Pauschalierungen an der Tagesordnung:

 

  • Wie schlecht das Gereit der FNler mit "vorne ziehen, hinten prügeln" sei.
  • Die Islandpferdereiter werden aufs Korn genommen, weil sie ihre Pferde mit weggedrücktem Rücken im Rennpass über die Ovalbahn scheuchen.
  • Die Westernreiter malträtieren ihre Vierbeiner mit abstrusen Gebissen oder lassen sie im Hufrollen-Arthrose-Kreuzverschlag-Jog im Viereck dahinschlurfen.
  • Die Anhänger des Philippe Karl zuppeln mit hocherhobenen Händen an den Zügeln.
  • Die branderup'schen Ritter sitzen mit Gerte gen Decke auf dem Roß.
  • Und die Barockreiter hüpfen auf durchhängenden Pferderücken im Rüschenlook durch die kronleuchterbehellte Reithalle.

 

Diese Beispiele nicht sind abschließend. Und es gibt viele schlechte Beispiele, von denen ich immer zugunsten desjenigen davon ausgehe, daß es nicht aus Bosheit geschieht. Ich selbst schließe mich da ebenfalls nicht aus. Was habe ich früher aus Unwissenheit alles am Pferd verbockt. :-( Und auch heute lerne ich noch immer dazu.

 

Aber das liegt nicht am angewandten System! Es ist ganz einfach das, was es ist: schlechtes Reiten! Schlechtes Reiten und schlechter Umgang mit dem vierbeinigen Partner - das gibt es reitweisenübergreifend, egal in welcher Klasse, egal mit welchem Pferd, egal ob Freizeit oder Turnier. Zu meinen, wenn man ein Stück vom Kuchen probiert habe, kenne man den Rest, das reicht hier leider nicht. Nur weil ein Vertreter dieser Reitweise einen schalen Beigeschmack hinterläßt, muß das nicht auf das dahinterstehende System zutreffen.

 

Am effektivsten wäre es sicherlich, viele praktische Erfahrungen zu sammeln. Nun ist es heute aber leider eben oft so, daß die wenigsten Reiter die Möglichkeit haben, viele unterschiedliche Pferde zu reiten oder mit ihnen umzugehen, um genau diese Erfahrungen machen zu können. Andere hoppen von Reitstil zu Reitstil, meinen alles zu kennen und wissen doch nichts. Denn es reicht nicht, sich mit einer Reitweise oder einem System nur einmalig anhand eines Kurs- oder Turnierbesuchs auseinander zu setzen. Um dies tatsächlich zu überblicken, muß man sich damit eingehend befassen, es sich erarbeiten - was Zeit und Mühe kostet. 

 

Egal, aus welchem Grund man sich einer weiteren Sparte der Reiterei zuwendet (um dazuzulernen, zu probieren, um urteilen zu wollen/können oder einfach um weiterzusuchen): Es lohnt sich immer, einmal über den Tellerrand zu schauen. Auch, wenn man sich dann doch dafür entscheidet, daß das Neue nicht für einen selbst taugt. Man weiß einfach um eine weitere Möglichkeit, die man anwenden könnte wenn man sie denn einmal nötig hat. Und man kann evtl. besser beurteilen, warum Person XY das so anwendet.

 

Zum Abschluß noch ein Zitat, das kurz und bündig für alle Reitweisen oder Systeme gilt:

 

Richtig reiten reicht.

Major a. D. Paul Stecken

 

Und vergessen wir doch bitte nicht, nur ausschließlich zu Fehlerguckern zu avancieren, zumal es ohnehin mehr als schwierig ist, eine Pferd-/Reiterkombination nur aufgrund eines kurzen Sequels beurteilen zu wollen, wenn man beide nicht über einen längeren Zeitraum kennengelernt hat. Wenn ein Pferd nach einer Reiteinheit schöner läuft als vorher: das sollte positiv bewertet werden, auch wenn der ein oder andere Holperer dabei war. ;-) 

 

Ich fände es schön: nicht voreingenommen gegeneinander, sondern wissend miteinander. Zugunsten der Pferde.