Vor einiger Zeit las ich in einem Pferdeforum im Internet unter der Überschrift „Wie weit sind Eure Pferde dressurmäßig ausgebildet?“ mal wieder den Satz: „Brauche ich nicht, ich will ja nur ins Gelände.“

 

Einige Tage später erzählte mir eine Kollegin, daß sie heftigst von ihrem Reitbeteiligungs-Haflinger entsorgt wurde, und auch hier fiel nebenbei der Satz: "Ach, ich bin ja nur Geländereiter."

 

Ich will ja nur ins Gelände.“

 

Ähnlich:

 

Auf dem Reitplatz ist mein Pferd so zäh.“

 

Mein Pferd mag keine Dressur.“

 

Und selbst eine alte Freundin sagte zu mir, als ich ihr von Kurtis Berittstall erzählte: „Ich möchte nicht, daß mein Pferd ständig in dieser Haltung geht.“

 

Nun könnte man pauschal mit dem alten Spruch dagegenhalten:

 

Die Dressur ist für das Pferd da, nicht das Pferd für die Dressur.“


Aber ich möchte das gerne etwas eingehender erklären.

 

Viele sehen heute beim Fallen des Begriffs „Dressurreiten“ Turniergeschrubbe, Schleifchenreiten, vorne ziehen, hinten quetschen vor dem geistigen Auge. Das, was heute – leider – viel zu oft auf nationalen oder internationalen Championaten von der FN oder der FEI mit Bestnoten gerichtet wird und – noch schlimmer – was oftmals nebenher auf den Abreiteplätze zu sehen ist, ist in vielen Fällen erst mal nichts anderes wie: schlechtes Reiten. Egal, ob das nun in der englischen, klassischen, Barock-, Western- oder Gangpferdereiterei geschieht.

 

Über den Flyer „Applaudieren Sie pferdegerecht“, der hier veröffentlich ist, können sich auch reiterlich Unkundige über den äußeren Rahmen schnell ein Bild machen: http://www.pfinzgauranch.de/tanja-%C3%BCberlegt/applaudieren-sie-pferdegerecht/ 

Schlechtes und gutes Reiten ist also reitweisenunabhängig.

 

Sieht man sich nun den vorgenannten Spruch genauer an, so liest man dort schlicht und einfach den Begriff „Pferd“. Pferd. Pferd. Pferd. Es steht dort nichts vom ganggewaltigen Warmblut. Nur Pferd. Genauso wenig steht da, daß Dressur nichts für Haflinger, Noriker, Quarter, Isländer oder Ponys wäre. Denn da steht immer noch nur: Pferd. Ergo gilt das nun erst mal für: alle Pferde.

 

Ganz klar dabei: in der warmblutgeprägten Turnierszene wird man mit einem Pony oder Noriker oder Hafi vor allem in den hohen Klassen nur schwer bis gar nicht mithalten können. Das muß aber in jedem Fall losgelöst vom Dressurreiten im allgemeinen gesehen werden! Denn: auch ein 0815-Pferdchen kann im Rahmen seiner Möglichkeiten (wichtig!!!) bis zur Klasse S gefördert werden. Ich kenne Shettys, die passagieren können, genauso wie Kaltblüter, die eine für ihre Verhältnisse echt tolle Piaffe zeigen können.

Was heißt eigentlich Dressur? Und wieso wird das so oft mißverstanden?

 

Vielleicht sollte man anstatt Dressurreiten oder überhaupt zum Reiten besser sagen: Gymnastizieren. Ich gymnastiziere mein Pferd. Das Wort "Dressur" hat für viele deshalb seit längerem einen so schalen Beigeschmack, weil dabei sofort Bilder von gerollkurten Pferden, schlimmstenfalls noch mit blauer, heraushängender Zunge entstehen. Aber das ist ebenso einfach: schlechtes Reiten.

Was will das Dressurreiten?

 

Es möchte gymnastizieren. Das Pferd soll durch verschiedene Übungen in die Lage versetzt werden, den Reiter schadlos über einen sehr, sehr langen Zeitraum zu tragen. DAS ist etwas, was jedem Reiter am Herzen liegen sollte. Das ist dann auch gutes Reiten - egal auf welcher Leistungsstufe/-klasse oder in welcher Reitweise man sich befindet. Die Wege dahin sind vielfältig, weil es so viele verschiedene Reiter und Pferde in so vielen Variationen und Anpaarungen gibt. Deshalb kann etwas, was für das eine Paar sehr gut taugt für ein anderes Paar falsch oder sogar schädlich sein.

Wieso ist das fürs Pferd denn notwendig?

 

Weil das Pferd damit in die Lage versetzt werden soll, seinen Reiter so lange als möglich zu tragen und nicht nur zu ertragen, also nicht daran gesundheitlich kaputt zu gehen. Dazu braucht das Pferd nicht unbedingt piaffieren zu können. Nein. Aber wenn ein Pferd (ein Haflinger, ein Kaltblut, ein Araber oder auch ein Warmblut) das kann, hat man damit in seinem Werkzeugkoffer zur Gesunderhaltung des Reitpferdes ein tolles Werkzeug, das man einsetzen kann. Denn nichts anderes sind Lektionen (ganze Bahn, Schlangenlinien, Zirkel, Volten, Kehrtvolten, Schulterherein, Konterschulterherein, Travers, Renvers, Traversale, Kurzkehrt, Piaffe, Passage, Pirouetten, etc.): es sind einfach Werkzeuge! Werkzeuge benutzt man nicht zum Selbstzweck. Keiner würde sich hinstellen und es toll finden: Woooow, jetzt habe ich einen Hammer in der Hand! Der Hammer wird nur dann sinnhaft, wenn man ihn richtig einsetzt: nämlich um einen Nagel in die Wand zu hauen. Dann kann man ein Bild aufhängen. Voila: sieht gut aus! Nun kann man das auch vermurksen, nämlich den Nagel schepps reinhauen oder sogar verbiegen: oh je!

Wegen letzterem ist Dressur dann auch leider nicht so einfach. Man muß viel lernen, fühlen, erfühlen, auf sein Pferd achten und in dieses hineinfühlen: was braucht es gerade, damit ich ihm helfe? Ups, jetzt gerade setzt es sein linkes Hinterbein schlecht ein. Mmmh - mal im Werkzeugkoffer kramen - ah, ja, Schulterherein links wäre nicht schlecht! Ach, schau an, es geht doch!

Wer eine Piaffe nur um der Piaffe Willen reitet, hat die Grundlagen nicht verstanden. Genauso wenig wie jemand, der - leider - sagt: „Ich will ja nur ins Gelände.“

Was erreicht man beispielsweise noch mit richtiger Dressurarbeit neben der so wichtigen Gesunderhaltung des Pferdes?

 

Ein motiviertes, jederzeit an den Hilfen stehendes Pferd, das auch in Gefahrensituationen einigermaßen kontrollierbar bleibt. Ergo dient die Dressurarbeit auch der menschlichen Sicherheit. Denn nur wenn mein Pferd durchlässig jederzeit an den Hilfen steht, kann ich Gefahren von mir und von ihm abwenden. "Nur" ins Gelände... Gelände ist doch quasi die Königsdisziplin! Was kann im Gelände alles auftauchen, was für Hindernisse können erscheinen, die in der Halle oder im Viereck so weit weg sind wie Moskau von Timbuktu! "Nur" ins Gelände...

Nun, ich habe die ersten paar Jahre mit Pferden auch dieses Credo verfolgt: "nur" ins Gelände. Irgendwann (und leider auch erst beim zweiten Pferd - ich hatte früher ein Warmblut mit Springpotential) fiel mir auf, wie steif Freizeitkumpel Amor da so unter mir war. Eben durch nur Gelände, viel geradeaus. Amor und ich kamen anfangs in der Halle nicht einmal annähernd im Galopp um die Kurven. Und ich bin felsenfest davon überzeugt, daß wir unsere Laika 2012 nicht schon mit nur 20 Jahren wegen ihrer schlimmen Arthrose hätten einschläfern lassen müssen, wenn wir auch bei ihr viel früher auf gesunderhaltende Gymnastizierung geachtet hätten.

Auch und gerade ich gehe heute zu 90 % nur ins Gelände, weil: wir haben bei uns nämlich keine Halle und keinen Platz, nur eine Wiese, die eben auch nur im Sommer bereitbar ist. Aber: es gibt bei uns keinen Ausritt, während dem ich nicht die ein oder andere Übung abfrage: Schenkelweichen, mal einen Zirkel an einer Kreuzung im Wald, mal eine Volte um einen Baum, mal Schulterherein oder Travers, mal Traversalen, mal eine Vorhand- oder Hinterhandwendung, mal eine Kurzkehrt.

 

Gebracht hats viel: die Physio ist von Amors Gesundheitszustand angesichts seines Alters (er ist ja immerhin Baujahr 1994) immer begeistert. Und: nein, wir können keine Piaffe & Co., und selbstredend geht Amor nicht ständig in dressurmäßiger Haltung drei Stunden durchs Gelände.

 

Auch ein – und für mich DAS wichtigste - Werkzeug: die Zügel aus der Hand kauen zu lassen. Schauen, wie dehnungsbereit ist mein Pferd. Muskeln wachsen ja nur, wenn man sie immer wieder anspannt und dehnt, anspannt und dehnt - sie wachsen nicht durch Daueranspannung! Und das Endziel: daß das Pferd in absoluter Selbsthaltung seinen Reiter trägt, man die Reiterhilfen aussetzen kann, diese Freiheit auf Ehrenwort. Das erreichen dann auch nur wenige. Aber auch diese Selbsthaltung braucht das Pferd nicht minuten- oder gar stundenlang zeigen. Schaut man z. B. bei den Dressurprüfungen der Deutschen reiterlichen Vereinigung zu, so wird kaum ein Zeitlimit von 5-7 Minuten überschritten. Und zwischendurch erfolgt – als Prüfung der Dehnungsbereitschaft und des Willens, sich wieder ordnungsgemäß aufnehmen zu lassen – das Zügel-aus-der-Hand-kauen-lassen mit Dehnung im Schritt.

 

Nebenbei: das, was z. B. viele Freizeitwesternreiter mit am langen Zügel durchs Gelände schlampern zeigen, ist keine Selbsthaltung. Auch im Westernreiten beginnt man mit Anlehnung und erarbeitet sich – im Laufe der Jahre (!) - durch eingehende Gymnastizierung des Pferdes einen längeren oder lang durchhängenden Zügel.

Auch ich peile mit Willi diese Selbsthaltung an - sofern ich als Reiter mal so weit komme, daß ich das mit ihm erarbeiten kann. Ich will ja nicht, daß mein Willi krumm in der Wand eingeschlagen ist, wie ein scheppser Nagel. Und ich will, daß er dabei motiviert ist. Das ist auch eine Kunst.

 

Warum werden manche Pferde bei der Dressurarbeit manchmal zäh und wirken unmotiviert?

 

Ist doch klar: weil es auch anstrengend ist! Ist doch viel angenehmer, geradeaus durchs Gelände zu stiefeln, als auch mal seine Zwangsseite dehnen zu müssen, die Hinterhand gut einzusetzen. So wie wir uns eine Grundfitness erarbeiten müssen, so geht es auch dem Pferd. Und wird es dann bei der Arbeit überfordert (über seine Möglichkeiten, die sich aber langsam durchaus bis zu einer gewissen Grenze steigern lassen!), verliert es logischerweise die Lust. Das muß und darf nicht sein, es gehört viel Fingerspitzengefühl dazu. Deshalb: "Verlange wenig, wiederhole oft, lobe viel" - Etienne Beudant. 

Dressurreiten kann jeder und sollte auch jeder Englisch-, Klassik-, Western-, Barock, Gangpferde- oder Feld-, Wald- und Wiesenreiter. Weil es dem Pferd einfach gut tut, wenn ein Mensch mit 50, 60, 70, 80, etc. kg da auf seinem Rücken herumturnt.

 

 

 

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