Aikido für Horsemen mit Mark Rashid, 04.-06.05.2014

 

Ich sitze vor meinem Laptop und lutsche an meiner Kaffeetasse. Vor mir liegt eine schwierige Aufgabe: ich will versuchen, den dreitägigen Workshop mit Mark Rashid (s. a. www.markrashid.com) in Worte zu fassen. Das ist nicht einfach. Heute, einen Tag danach, bin ich immer noch wie erschlagen, rand-, sogar übervoll mit Eindrücken, Gefühlen und Ideen für die zukünftige Arbeit mit meinem beiden Pferden. Das äußert sich auch körperlich: am liebsten würde ich mich wieder ins Bett legen. Aber jetzt sind die Erinnerungen und Gefühle noch frisch. Auf alle Fälle möchte ich so viele Eindrücke wie möglich im Bericht niederlegen. Es wird deshalb sicherlich ein langer Bericht…

 

Ich habe einige Bücher von Mark gelesen und ein paar DVDs gesehen. Es sind keine Instruktionen fürs Reiten oder für den Umgang mit Pferden, die Mark aufgeschrieben hat. Vielmehr sind es seine Erfahrungen, die er ohne Wertung weitergibt. Die Geschichten aus diesen Büchern haben mich oftmals beeindruckt und zum Nach- und Überdenken meiner Einstellung zu Pferden angeregt. Leider kommt Mark, der in Colorado/USA lebt, nur selten nach Europa. Deutschland steht zudem so gar nicht auf seinem Plan. Deshalb war ich ziemlich erfreut, als ich nach ausgiebiger Recherche herausfand, daß neben Workshops mit ihm in England auch welche in der Schweiz angeboten werden. Und ich hatte Glück: ich habe einen Kursplatz ergattert. Der Workshop wird über Sonja Bucher, s. a. www.freizeitreiten.ch, organisiert und findet in Rothrist, einem kleinen Ort in der Nähe von Basel in einem Dojo (Übungshalle für japanische Kampfkünste) an drei Nachmittagen von 14 – 18 Uhr statt.

 

So reise ich am 04.05.2014 morgens gemütlich mit dem Auto nach Rothrist und checke erst einmal im Hotel ein, wo ich auch eine Bekannte aus dem Internet treffe. Chris instruiert mich schon mit einigen Details, denn sie war schon bei Mark in England. Um 14 Uhr sind wir pünktlich im Dojo. Es nehmen ca. 20 Teilnehmer teil, zwei davon sogar männlichen Geschlechts. Der Kurs wird komplett übersetzt, allerdings nur ins Schwiizerdütsch, das sich mir mit seinen vielen „i“ und „ch“ oder „ck“ so gar nicht erschließt. Aber Marks Englisch ist gut, ich verstehe ihn sehr gut und kann immer sofort erfassen, was er meint. Außerdem wird mir für die nächsten drei Tage die Übersetzung ins Schwiizerdütsch das ein oder andere Grinsen entlocken, denn wenn anstatt von atmen von „schnufa“ und anstatt vom Pferd ständig vom „Ross“ die Rede ist, ist das für meine Ohren schon recht witzig.

 

04.05.2014, 1. Einheit, 14-15 Uhr

 

Mark weist uns zunächst in einige kleine Benimmregeln in einem Dojo ein (das kurze Verbeugen vor dem Raum bevor man die Matte betritt, das Auftreten auf die Matte mit dem linken Fuß, was eine friedliche Absicht darstellt im Gegensatz zum Vortritt mit dem rechten Fuß, was einem kämpferischen Akt gleichkommt) und erklärt weiter, daß wir jeden Tag zunächst mit Aufwärmübungen, Stretching und Atemübungen beginnen werden. Das Stretching des Oberkörpers übernimmt Marks Ehefrau Crissie, die durch einen Unfall im Januar 2014 doch noch relativ gehandicapt ist.

 

Zunächst sitzen wir Crissie im Schneidersitz oder beliebig gegenüber und achten fünf Minuten lang nur auf unsere Atmung, die nicht im Brust- sondern im Bauchraum, dem Zentrum, ankommen soll. Die Rippen sollen sich weiten, die Schultern gelockert sein, nicht nach oben gezogen werden. Das kenne ich vom mehrjährigen Yoga- und Meditations-Training, so daß mir das sehr leicht fällt. Ich schließe, wie bei vielen anderen folgenden Übungen die Augen, um besser fühlen zu können. Anschließend geht es ans Stretchen des Oberkörpers, vornehmlich der Hände und Arme: wir dehnen die Finger, verdrehen die Handgelenke nach oben und zur Seite, gehen dann zu den Armen üben. Hier bin ich ziemlich fest und steif – was mir ebenfalls bereits vom Yoga bekannt ist; eine meiner Schwachstellen.

 

Zum Aufwärmen der Beine laufen wir mit Mark allesamt längs durch den Dojo, kreuzen die Füße, gehen während des Laufens in die Knie und ähnliches. Hinsichtlich Fitness schlägt uns Mark drei kurze Übungen vor, die wir täglich in nur 90 Sekunden in unseren Alltag einbauen könnten: Kniebeugen (squats), Liegestütze (pushups) und situps (gibt’s hierfür einen deutschen Begriff?). Wir bekommen von Mark auch sehr intensiv gezeigt, wie wir diese Übungen qualitativ sehr gut ausführen sollen, denn:

 

You don’t need to do something very often, but do it right.

=

Qualität vor Quantität.

 

Und dann geht es los: 10 Sekunden squats, 10 Sekunden pushups, 10 Sekunden situps in drei Durchgängen. Uff. Ich bin froh, daß Mark gleich anbot, daß wir die pushups auch an der Wand oder über die Knie machen können. ;-)

 

04.05.2014, 2. Einheit, 15-16 Uhr

 

Nach einer fünfminütigen Pause lernen wir die Zentrierung kennen. Auch etwas, was mir ähnlich schon aus dem Yoga bekannt ist. Auch und gerade wenn wir auf dem Pferd sitzen und es passiert etwas Unvorhergesehenes, steigt unsere Aufmerksamkeit nach oben in den Kopf. Hierdurch werden wir instabil. Durch die Zentrierung oder Erdung bleiben wir gefestigter. Mark veranschaulicht das sehr gut, indem er uns auffordert, mit dem Finger auf unsere Stirn zu zeigen und uns auf diesen Punkt zu konzentrieren. Stupst er uns an, kommen wir sehr schnell aus dem Gleichgewicht. Ähnliches passiert, wenn man sich auf den Brustraum konzentriert. Doch bei Achtsamkeit auf den Bauchraum, den Solarplexus: voila!

 

Zur Erlangung einer guten Zentrierung (centering) sollen wir mit den Beinen ungefähr hüftbreit stehen und mit den Hüften kreisen, große Kreise beschreiben, uns hierauf konzentrieren. Wir achten auf das Äußere unseres Körpers, wenden uns dann dem Inneren zu, stellen uns unseren Körper von innen vor. Schließlich konzentrieren wir uns auf unsere Organe, die ebenfalls mitkreisen. Wir lassen unseren Körper weniger, kleiner kreisen, die Organe sollen jedoch weiter weit im Kreis schwingen und erst, als unser Körper schon ruhig ist, nach und nach ausschwingen. Dann geht es in die andere Richtung.

 

Durch diese Konzentration fühle ich mich tatsächlich innerhalb kurzer Zeit sehr fest am Boden haftend. Als Mark uns schließlich auffordert, unsere Organe gedanklich nach unten sacken zu lassen und tatsächlich einen Schritt nach vorne zu machen, bin ich baff: das geht nicht. Meine Beine sind schwer wie Blei.

 

Eben genau jene Erdung bzw. Zentrierung sollten wir auch beim Reiten innehaben – und zwar ständig.

 

04.05.2014, 3. Einheit, 16-17 Uhr

 

Nach einer weiteren fünfminütigen Pause fangen wir an, mit dieser Erdung zu spielen. Mark zeigt uns auch anschaulich, wie schnell diese Zentrierung auch wieder verflogen sein kann, und holt hierzu Sonja zu sich. Mit einem schelmischen Lächeln (er ist ohnehin immer sehr locker, scherzt gerne) erklärt er uns, daß Frauen ja unheimlich analytisch veranlagt seien. Sonja soll zentriert stehen. Sonja steht. Geerdet. Mark flüstert ihr zu: „500 + 100 =?“ und stupst Sonja an. Sonja – kommt aus der Balance. So schnell kann es gehen, wenn wir von der Körpermitte in den Kopf „verrutschen“. ;-)

 

Um uns zu schulen, achtsam zu werden, wie wir unsere Balance (auch im Umgang mit dem Pferd) behalten, machen wir Partnerübungen und nutzen hierzu u. a. den „Jo“, einen knapp 1,30 m langen Holzstab, den sich zwei Partner jeweils zwischen die Handflächen stemmen, der also nicht mit der Hand gegriffen werden soll. So müssen wir darauf achten, wo unser Partner Druck auf- oder abbaut und ihm folgen oder selbst die Führung übernehmen. Hierbei können wir uns drehen und wenden, sollen den Holzstab aber nicht verlieren. Was gar nicht so einfach ist. Von dieser Übung bleibt mir ein Satz besonders im Gedächtnis, den man sicherlich auch auf viele andere Lebensbereiche anwenden kann:

 

Warum gegen eine Kraft arbeiten, wenn man diese viele

Energie auch aufnehmen

und für sich selbst einsetzen, umlenken und nutzbar machen kann?

 

Eine weitere Übung mit dem Jo: wir klemmen uns den Holzstab vor den Bauch und sollen so mit unserem Partner durch den Dojo laufen. Hiernach die Steigerung: wir bilden Vierergruppen, die Holzstäbe überkreuzen sich. Immer wieder weist Mark uns auf

 

moving, blending, softness and control

 

hin, mehrmals, 10x, 20x, 50x. Ein einziges Mal sagt er, wir könnten auch versuchen, den Jo des anderen Paares zu Fall zu bringen. *Schwupp* ist die Erdung dahin, die Aufmerksamkeit steigt in den Kopf, wir werden conträr, arbeiten plötzlich gegeneinander. Ein interessanter Aspekt.

 

Als letzte Übung in dieser Einheit kommt Mark auf einen oft unterschätzten Unterschied zu sprechen:

 

Machen = Helfen?

 

Wie oft haben wir schon von Reitlehrern gehört: „Tu dies, mach jenes mit Deinem Pferd“, oder „Dein Pferd soll dieses und jenes tun“. Und wie selten, wenn überhaupt, bekamen wir den Hinweis: „Hilf Deinem Pferd, dies zu tun.“ Sehr intensiv können wir dies auch wieder in einer Partnerübung mit dem Jo erfahren und bilden hierzu Dreier-Gruppen: zwei Personen halten den Jo sehr fest in ihren Händen, jeder zieht in seine Richtung. Die dritte Person greift den Holzstab in der Mitte. Sie soll nun zunächst „machen“, daß der Holzstab in Richtung einer der beiden anderen Personen gehen kann. Mit Kraftaufwand. Was sehr schwierig ist, denn Druck erzeugt Gegendruck. Kaum bemerkt die eine Person, daß sich die anderen beiden Personen kräftemäßig gegen sie wenden, wendet sie umso mehr Kraft auf.

 

Dann der Unterschied: Helfen. Die dritte Person soll sich vorstellen, wie sie der einen Person „hilft“, den Jo in deren Richtung zu ziehen. Hierzu dient auch die Vorstellung, wie man die Person, die nachgeben soll, in Gedanken mit Namen anspricht und sie gedanklich mit in die neue Richtung zieht. Der Effekt ist gruselig: es ist einfach!

 

„Gruselig“ - in den Stunden dieses Workshops ohnehin ein Wort, das mir sehr, sehr oft einfällt. Ich bin nun wirklich kein Esotherik gegenüber sehr offener Mensch, bin ehr naturwissenschaftlich veranlagt und analytisch. Ich glaube zwar durchaus, daß es mehr zwischen Himmel und Erde gibt, als wir Menschen erfassen können (z. B. Infrarotstrahlung, etc.). Trotzdem lassen mich derartige Übungen während des Workshops immer wieder baff staunen.

 

04.05.2014, 4. Einheit, 17-18 Uhr

 

Falltraining steht auf dem Plan. Wir dürfen uns auf den Rücken lagen, die Knie leicht anziehen, das Kinn auf die Brust nehmen und hin- und herschaukeln. Dann klatschen wir, wenn wir nach links schaukeln, mit der linken Hand im richtigen Moment satt und laut auf den Boden. Es scheppert durch den ganzen Dojo, wenn 20 Personen das machen. Aber es macht Spaß! J Mark erklärt, daß dieses Schlagen einen Großteil der Energie eines Sturzes einfach verpuffen läßt.

 

Nach dem seitlichen Abrollen geht es ans Rückwärtsrollen: wieder werden die Knie angezogen, das Kinn fest auf die Brust gezogen – wir sollen rund sein und von vorne nach hinten kugeln. Dann klatschen wir mit beiden Armen im richtigen Moment auf den Boden: *Schwupp* haut es mich mit einer Rückwärtsrolle um mich selbst: ich habe einen Purzelbaum rückwärts gemacht. Das macht fun! J J J So kugle ich noch einige Male rückwärts durch die Gegend, bis mir schon leicht schwindelig ist.

 

Abends gehen Chris und ich noch gemütlich eine Pizza essen und ich falle recht müde ins Bett – kann jedoch leider noch lange nicht einschlafen, weil es viele Eindrücke zu verarbeiten gilt.

 

Am nächsten Morgen treffen wir uns beim Frühstück, gehen kurz einkaufen und machen dann bei schönem Wetter einen netten Spaziergang. Mittags geht’s weiter:

 

05.05.2014, 1. Einheit, 14-15 Uhr

 

Mark fragt eingangs (wie auch mehrmals in jeder Einheit), ob es noch Fragen gibt. Eine Teilnehmerin hat sich gestern umgehend auf ihr Pferd geschwungen, um nachzufühlen, ob sich mittels Einsatz der Zentrierung etwas anders anfühlte: das Pferd reagierte offenbar verunsichert und aufgeregt, weshalb sie wissen möchte, woran das gelegen haben könnte. Mark: Das kann er so nicht beantworten, denn er hört hier nur ihre Sicht auf die Situation. Er müsse für eine Analyse jedoch auch die Ansicht des Pferdes „hören“, sehen –>

 

Er möchte beiden Seiten Gelegenheit zu einem Statement geben.

 

Spontan fallen mir da so viele vermeindliche reiterliche Koryphäen aus dem Internet ein, die auf alles und jenes eine Antwort wissen… ;-)

 

Mark weist uns aufgrund dieser Frage auch auf einen wichtigen Umstand menschlicher Denke hin:

 

Wir fokussieren uns oftmals nur auf das Problem und

verlieren dabei das Ziel/die Lösung aus den Augen.

Wir müssen lernen, uns auf die Lösung zu konzentrieren!

 

Dann starten wir wieder mit Crissie, atmen – „schnufa“ ;-) – und dehnen unsere Hand- und Armgelenke, traben wieder mit Mark durch den Dojo und wärmen uns auf, absolvieren unsere 90 Sekunden-Fitness-Übungen. Neu hinzu kommt eine Schrittfolge, die wir in den nächsten Einheiten immer wieder brauchen werden: der rechte Fuß steht vorne, wir schwingen mit dem linken Fuß vorbei, drehen uns hierbei und gehen schließlich einen Schritt rückwärts. Wichtig ist hierbei, daß unsere Hüften in der Anfangs- und Endposition immer gut geradeaus gerichtet sind – um die Erdung/Zentrierung mal wieder nicht zu vergessen.

 

Mark weist uns in diesem Zusammenhang auch darauf hin, wie unterschiedlich unsere Standfestigkeit ist in verschiedener Aktion ist. Stehen wir auf beiden Beinen, kann uns nur sehr schwer etwas von links oder rechts aus dem Gleichgewicht bringen. Stupst uns dafür jemand von vorne oder hinten an, verlieren wir die Balance. Anders ist es beim Gehen: hier haben wir ein gutes Gleichgewicht, das unsere Vorder- oder Rückseite betrifft. Kommt jedoch eine Einwirkung von der Seite, kommen wir in Balance-Nöte. Pferde haben es da einfacher. ;-)

 

05.05.2014, 2. Einheit, 15-16 Uhr

 

Die zuvor erlernte Schrittfolge ist ein Puzzleteil einer Partnerübung: einer ist der Angreifer, der  Partner wendet den Angriff soft ab. In dieser Einheit üben wir die Angriffstechnik: will ich rechts zuschlagen, steht mein linker Fuß vorne, die linke Hand ist geballt leicht schräg vor den Körper nach vorne gestreckt, die rechte Hand liegt ebenfalls geballt mit den inneren Handgelenk nach oben zeigend  und im Ellenbogen angezogen auf Höhe meiner rechten Hüfte. Führe ich nun einen Schlag mit meiner rechten Faust in Richtung meines Gegners aus, gleitet gleichermaßen die linke geballte Hand sich nach oben drehend zu meinem linken Hüftgelenk zurück. Mark zeigt uns auch, wie wir die Hand richtig ballen und daß die Faust – gegebenenfalls – „plan“ auf den Gegner trifft, um diesen nicht mit den Handknöcheln zu verletzen oder sich diese selbst zu verletzen, denn es geht im Aikido auch nicht um Kräftemessen, sondern um softe Abwehr und Umlenken.

 

Dann bauen wir die Schrittfolge aus der ersten Einheit dieses Tages, die das Ausweichen darstellt, mit dem Angriff in einer Partnerübung zusammen: einer greift mittels Schlagtechnik an, der Partner weicht mittels Schrittfolge auf die Seite des Angreifers aus. Alles, Angriff und Ausweichen, soll von beiden Partnern in einem gleichmäßigen, ruhigen Tempo durchgeführt werden, zunächst auch sehr langsam, damit wir Zeit zum Begreifen haben. Ich tue mich mit dieser Übung unheimlich schwer – wie immer, wenn ich multitaskingmäßig viele Dinge gleichzeitig tun soll. Wie beim Reiten…

 

Um wieder etwas für unsere Erdung zu tun und um zu spüren, wie wir diese sodann auch in der Bewegung (respektive später auf dem Pferd) einsetzen können, gehen wir zu einer neuen Übung über: wir stehen hinter unserem Partner, legen diesem die Hände auf die Schultern und sollen diesen mittels Energie aus unserer Körpermitte – und keinesfalls aufgrund Kraftaufwendung in unseren Armen oder Händen! – vorwärtsbewegen. Wieder so eine Übung, die mich staunen läßt.

 

Mark nimmt hierbei wieder Bezug auf das Reiten: sitzen wir auf dem Pferd, wollen dieses antreten lassen, denken und fühlen wir oft nur mit dem Kopf, wodurch die Energie über den Pferdekopf hinaus „verpufft“. Kommt meine Energie jedoch aus der Körpermitte, kann ich diese ins Pferd und ins Vorwärts umlenken.

 

Das funktioniert nach mehrmaligem Üben tatsächlich: konzentriere ich mich gut auf meine Körpermitte und denke „vorwärts“ kann ich meinen Partner tatsächlich ohne Muskelkraft meiner Hände oder Arme antreten lassen. Ich finde das mal wieder: gruselig. Aber einfach toll!  Und das funktioniert tatsächlich auch zu dritt: wir stehen zu dritt hintereinander, die hinteren beiden Personen haben jeweils ihre Hände auf die Schultern des Vordermannes gelegt. Die hinterste Person soll die beiden anderen „führen“ – wieder ohne Muskelaufwand der Hände oder Arme. Hierbei kommt es zu mehreren, sehr interessanten Begebenheiten:

 

Eine meiner Partnerinnen führt, ich stehe ganz vorne. Ich habe so deutlich das Gefühl, daß ich nach links, links, links, links, LINKS!, muß, daß ich sogar die Füße nach links kreuze, um schneller um die Kurve zu kommen. Wir rufen Mark zu Hilfe, denn eigentlich wollte sie geradeaus, erklärt jedoch auch gleich, daß ihr selbiges zu Hause auch ständig mit ihrem Pferd passiert. Mark läßt sich von ihr die Hände auf die Schultern legen und sagt sofort, daß er nur dadurch eine deutliche Weisung nach links spürt. Durch kleinste Körper- und Gedankenanweisungen hilft er ihr zu fühlen, wie sich ein „Geradeaus“ anfühlen muß.

 

Dann bin ich an der Reihe. Ich möchte meine beiden Partnerinnen vor mir nur ganz sachte um die Kurve lenken und mache das – meiner Ansicht nach - mit ganz, ganz wenig Energieeinsatz. Doch: meine beiden Partnerinnen wuseln schnell um die Kurve und reflektieren mir danach, daß sie unheimlich „Viel“ dazu veranlaßt hätte. Puh – wenn nun zwei Menschen, im allgemeinen doch schon recht desensibilisiert und reizüberflutet, soviel spüren: wieviel spüren dann Amor und Kurti erst…???

 

Mark erklärt, daß dies z. B. auch sehr, sehr wichtig für das Reiten von Übergängen sei. Man solle nicht einfach denken: „Trab, Trab, Trab“ und dann plötzlich „Schritt“. Es müsse fließend geschehen, damit das Pferd das auch fließend umsetzen kann.

 

05.05.2014, 3. Einheit, 16-17 Uhr

 

Nach einer fünfminütigen Pause folgt wieder Falltraining. Diesmal geht’s um die Vorwärtsrolle. Wir sollen uns wieder rund machen, das Kinn auf die Brust ziehen, gehen in die Hocke: ein Bein, beispielsweise das linke, ist angewinkelt aufgestellt, das andere am Boden, die Hände stützen uns rechts vom linken Bein wie zu einem Kreis gebeugt am Boden ab. So rollen wir über die linke Schulter, quer über den Rücken in Richtung rechter Gesäßhälfte ab. Naja, also, rückwärts kann ich das irgendwie besser. ;-)

 

Hiernach gehen wir zu einer Übung über, die Mark angabegemäß heute das erste Mal in einer Gruppe einsetzt. Er schleppt mehrere Bodenarbeitsseile an; ich bin gespannt. Wir sollen die Seile so knoten, daß man mit beiden Armen durch zwei Schlaufen schlüpfen kann, die durch einen Knoten auf dem Rücken zusammengehalten werden, ähnlich einem Rucksack. Das Ende des Seils wird nochmals am Knoten befestigt. Der Träger ist das Pferd, der Partner hält das Ende vom Seil wie der Reiter die Zügel in Händen. Mark zeigt uns, wie soft man hier agieren kann:

 

Pullt das Pferd (hier: eine Teilnehmerin, die das Seilgeschirr trägt) vorwärts, kann er kräftemäßig gegenhalten, mehr Druck aufbauen, was bewirkt, daß das Pferd noch mehr Kraft aufwenden wird. Er kann jedoch auch soft ohne weiteren Druck gegenhalten und schließlich nachgeben, so daß das Pferd stehenbleibt. Die Teilnehmerin, die ja nicht sieht, was Mark hinter ihrem Rücken macht, reagiert tatsächlich eindeutig. Mal wieder: gruselig.

 

Ich schaue wohl ziemlich skeptisch. Mark holt mich nach vorne. Ich soll ganz fest mit beiden Händen sein Handgelenk packen und mich steif machen. Ich gebe alles. Zunächst arbeitet Mark dagegen, ich drücke noch ein wenig stärker. Plötzlich: Marks Handgelenk fühlt sich an die Gummi, ich lockere – unwillentlich! – meinen Griff, Mark kann meine Hände wegschieben. Ich schaue wohl überrascht, aber immer noch skeptisch, weshalb er die Übung noch zweimal mit mir wiederholt: immer wieder baut er zunächst Gegendruck auf, wird plötzlich innerlich, ohne körperliche Anzeichen weich -> soft, und kann schließlich so auch mich beeinflussen.

 

Hach ja: gruselig. Wenn ich das nicht selbst mit ihm erfahren hätte, ich würde es nicht glauben.

 

So wuseln wir denn dann auch wieder alle mit unserem Seilgeschirr paarweise durch den Dojo und sind immer wieder überrascht, wie einfach das gehen kann. Es ist so wenig nötig! Hier auch nochmals Marks Hinweis:

 

Wir sollen nicht nur soft in den Händen, sondern im ganzen Körper sein.

 

05.05.2014, 4. Einheit, 17-18 Uhr

 

Wir wiederholen die Partnerübung Angreifen und Ausweichen, sollen hierbei jedoch den Angreifer auch soft nach unten oder zur Seite bewegen oder quasi „auf die Knie“ bringen. Hier tue ich mich wieder sehr schwer, weil alles fließend und gleichzeitig geschehen soll. Wichtig hierbei wieder: als Ausweicher sollen wir keine Kraft mit den Händen oder den Armen auf die Schultern den Angreifers ausüben, alles soll aus der Körpermitte kommen. Was das ganze für mich nicht gerade einfacher macht.

 

An diesem Abend bin ich unheimlich voll, mein Kopf schwirrt. Chris und ich gehen zwar noch in der wunderschönen Abendsonne etwas in einem uns von einem Teilnehmer empfohlenen Biergarten trinken, kommen aber doch recht zügig wieder zurück ins Hotel. Wo ich leider wieder nicht sonderlich gut einschlafen kann: zuviel Neues ist da, zuviel, was ich heute gefühlt habe.

 

Am nächsten Morgen fühle ich mich ziemlich zerschlagen. Und mir geht das erste Mal auf, daß es tatsächlich wirklich gut ist, daß dieser dreitägige Workshop nur halbtags stattfindet. Das ist soviel Input!!! Chris und ich bereiten uns am Vormittag schon auf die Heimfahrt am Abend vor, tanken, kaufen nochmals kurz ein, checken schließlich aus dem Hotel aus und machen wieder einen netten Spaziergang. Doch auch am Nachmittag um 14 Uhr am Dojo bin ich noch ziemlich groggy.

 

06.05.2014, 1. Einheit, 14-15 Uhr

 

Wie gehabt: wir atmen – „schnufa“ *gg* - mit Crissie, dehnen und stretchen unsere Handgelenke und Arme, wärmen uns auf, machen squats, pushups und situps – und ich bin fertig. Mein Körper mag nicht mehr. Ich merke, daß das nicht körperlich bedingt ist, sondern mein Kopf anfängt, dicht zu machen.

 

Wir üben wieder die Fußfolge, gehen auch gleich zur Partnerübung über: einer greift an, der andere weicht aus. Alles soll geschmeidig sein. Ich gebe mir viel Mühe, und hin und wieder bekomme ich ein positives Feedback meiner Partnerin.

 

Jetzt beim schriftlichen Festhalten dieser Einheiten merke ich sogar, wie wenig aufnahmefähig ich zu diesem Zeitpunkt bereits war: es fällt mir schwer, mich trotz meiner Notizen zu erinnern.

 

06.05.2014, 2. Einheit, 15-16 Uhr

 

In dieser Einheit geht es um den „point of contact“, beispielsweise bei der Zügelführung. Dieser soll nicht zu fest (mir fiel spontan das Riegeln oder die Rollkur ein), aber auch nicht zu lasch sein (hingeworfene Zügel). Und es geht darum, wie man diesen point of contact verschieben kann. Mark geht reihum und läßt dies jeden spüren:

 

Ich strecke Mark meine Hand entgegen, er legt seine Handfläche auf meine. Flucks ist all meine Konzentration und Aufmerksamkeit – unbewußt - auf diesen point of contact gerichtet. Mark wird soft und senkt diesen Kontaktpunkt ab, nach unten in Richtung unserer Körpermitte. Und wieder: gruselig. Ich spüre das! Wie jeder andere im Dojo bei sich selbst auch.

 

Damit geht’s an die Partnerübungen: wir stehen voreinander und legen unsere Handflächen aneinander. Jeweils einer soll das Zentrum von der Hand nach unten lenken. Es funktioniert. Selbst jetzt, wenn ich das schreibe, kann ich mir vorstellen, wie skeptisch man ist, wenn man das liest. Aber es ist spürbar.

 

Plötzlich fange ich stark an zu schwitzen. Es gab keinerlei körperliche Übung, die anstrengend gewesen wäre. Aber ich schwitze, merke sogar, wie mir hinten das Wasser den Rücken richtig herunterläuft. Mein Körper sagt: Nun ist aber Schluß, es reicht, Du bist voll! Ich bin froh über die anstehende, etwas längere Pause.

 

In dieser schnappe ich mir auch mein mitgebrachtes Buch von Mark und lasse es von ihm signieren und noch ein Foto von uns beiden machen. Eigentlich mag ich keine Bilder von mir. Aber mit diesem Bild bin ich zufrieden – weil es einen tollen Moment, eine tolle sehr gute und wichtige Erfahrung einfängt.

 

06.05.2014, 3. Einheit, 16-17 Uhr

 

Wir vertiefen die Übungen: Mark geht reihum und legt uns die Hände auf die Schultern. Ohne Muskelaufwand läßt er mich in die Knie gehen. Ich will das gar nicht, aber es passiert. Ich merke, wie etwas ganz weiches -> softes mir alle Steifheit nimmt. *grusel* Mark erklärt, daß wir uns zur besseren Vorstellung auch ein Loch im Bauch unseres Partners vorstellen können, durch das die Energie dann auch abfließen kann. Durch diesen Hinweis funktioniert das Ganze sodann bei der Partnerübung nochmals besser – ich habe ein paarmal sogar Angst, daß meine Partnerin plötzlich zu Boden geht. *gg* ;-)

 

Es gibt für die Übung auch andere Alternativen: wir bilden Dreier-Gruppen, einer steht in der Mitte und hält die anderen beiden an den Händen. Die beiden äußeren ziehen kräftig wie beim Tauziehen in ihre Richtung. Ich stehe in der Mitte und soll versuchen, beide zu mir heranzuziehen. Nicht durch Muskelkraft, was wieder nur Gegendruck verursachen würde, sondern durch Softness. Ich stelle mir vor, wie ich die Zentren meiner Partnerinnen soft einfangen und zu mir herhole, durch meine Hände und Arme fließen lasse und an mich heranziehe. Komischerweise klappt das rechts besser als links. Ich überlege, ob das etwas mit Händigkeit (beispielsweise auch beim Pferd) zu tun haben könnte und frage bei Mark nach. Er nimmt sich sofort Zeit und gibt mir mit, daß ich mich und meine Partnerinnen nicht getrennt voneinander betrachten soll, sondern als Einheit. Ratzfatz kann ich beide soft zu mir herziehen. J Das funktioniert sicherlich auch bestens beim Pferd.

 

06.05.2014, 4. Einheit, 17-18 Uhr

 

Ich fühle mich ausgelaugt und lege eine Pause ein, nachdem die anderen sich nochmals an Fallübungen, diesmal ausgelöst durch Mark, Crissie und unseren Übersetzer (alle drei haben den schwarzen Gürtel), so daß es aussieht wie ein leichter Schulterwurf. Mein Kreislauf ist ohnehin schon seit zwei Stunden am Kämpfen, so daß ich nicht auch noch durch die Gegen rollen will. Aber es macht Spaß, den anderen zuzuschauen.

 

Später folgt nochmals die Pferde-Führer-Seil-Übung von gestern. Mark möchte gerne wissen, ob es uns nun leichter fällt als gestern, etwas zu spüren – egal ob nun als Pferd oder als „Reiter“/Führer. Ja, ich spüre durchaus mehr, aber ich muß mich gleichzeitig tierisch anstrengen, weil ich nun auch mental nicht mehr kann.

 

Hier zeigt uns Mark nochmals, mit wie wenig man einen anderen – das Pferd – bewegen kann: ein Teilnehmer steht mit dem Rücken zu Mark vor ihm. Er kann ihn zwar durchaus mit leichtem Handanlegen im Rücken zum Antreten veranlassen. Mark kann dies jedoch ebenso nur mit einer in Richtung Rücken gehenden Hand auslösen, indem er „vorwärts“ denkt! Und ein letztes Mal: gruselig! Wenn ich es nicht gesehen hätte, würde ich es nicht so einfach glauben. Witzigerweise funktioniert das auch bei mir, als ich „Ross“ spiele; meine Partnerin ist ganz von den Socken.

 

Zum Schluß noch eine letzte Übung, die Mark mit einem Hinweis einleitet:

 

Versuche nicht, mit Gegendruck zu reagieren; akzeptiere den Angriff.

 

Hierzu holt Mark Sonja zu sich und fordert sie auf, sich Schulter an Schulter gegen ihn zu lehnen. Er erklärt, daß er nun mit Gegendruck reagieren könnte, was ihn viel Kraft kostet. Er kann jedoch auch den Druck auf seiner linken Schulter akzeptieren und in seinen rechten Fuß ableiten, sprich: den Druck dort abfangen. Schon befindet sich nicht mehr soviel Druck auf seiner linken Schulter. Wir sollen dies nachfühlen und wieder mit Partnern zusammenarbeiten, uns hiernach dann in Dreier-Gruppen zusammenfinden: alle stehen Schulter an Schulter, zwei lehnen sich gegen einen, dieser leitet den Druck zunächst ab, steuert dann soft gegen und bringt die beiden anderen aus dem Gleichgewicht. Krass, wie das tatsächlich funktioniert. Ich bekomme das sogar so gut hin, daß Mark sich schließlich noch als vierte Person in meine Schlange stellt, sich sogar drei Personen an meine rechte Schulter lehnen, ich dies zunächst abfange und dann alle nach rechts aus dem Gleichgewicht bringe; ohne Kraftaufwand – ganz soft. J  

 

Hiernach bin ich jedoch heilfroh, daß nun Schluß ist. Und mir ist ein wenig bange vor der dreistündigen Heimfahrt, die mich nochmals immens viel Kraft kostet. Vielleicht versteht man nun auch, warum ich auch heute noch so immens alle bin. Es waren eine Menge Erfahrungen, die man in den drei Tagen sammeln konnte.

 

 

 

Fazit: Ich habe einen tollen Menschen kennengelernt! Ich war neugierig, ob Mark so authentisch ist, wie seine Bücher vermuten lassen: ja, komplett und vollständig. Das, was ich bislang in seinen Büchern lesen konnte, das ist tatsächlich Mark. Er kann wunderbar erklären und Gefühle vermitteln. Der Kurs war mächtig mental anstrengend – ich habe so viele intensive Eindrücke mitnehmen können, daß ich sicherlich noch lange davon profitieren kann. Ich bin auch motiviert, weiter und wesentlich softer mit meinen Pferden umzugehen, die doch nochmals soviel sensibler als Menschen sind. Mitnehmen konnte ich auch viele neue Ideen und hoffe, daß ich eingefahrene Muster damit aufbrechen kann. Für mich als „Gefühlslegastheniker“ waren sehr, sehr viele intensive Erfahrungen dabei.

 

 

Nun freue ich mich noch auf das nächste Wochenende, an dem ich Sonja, Crissie und Mark nochmals anläßlich eines Reitkurses wiedersehen werde, leider nur als Zuschauer. Aber fürs nächste Jahr… - da möchte ich gerne mitreiten. Wieviel könnte ich wohl von einer Reiteinheit mit Mark als fühlenden Dolmetscher mitnehmen, wenn ich jetzt schon soviel erfahren konnte.

Mark und ich am 06.05.2014 im Dojo Rothrist
Mark und ich am 06.05.2014 im Dojo Rothrist

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