Reitlehrgang Sitzschulung und Alexander-Technik mit Jenny Neuhauser, 28./29.09.2013

 

Ich kenne Jenny (s. http://www.jennyneuhauser.ch/) aus einem Forum im Internet, in dem mir ihre qualitativ sehr guten Beiträge und ihre Art, sich gut und für jedermann verständlich auszudrücken, aufgefallen sind. Kennengelernt haben wir uns bereits einmal vor drei Jahren, als ich zu ihr in die Schweiz fuhr, um mir einen ihrer Reitlehrgänge mit David de Wispelaere anzuschauen, die sie regelmäßig organisiert. Jenny hat zwischenzeitlich eine dreijährige Ausbildung zum Alexander-Technik-Trainer absolviert. Was lag also näher, als einmal einen Workshop mit ihr zu organisieren?

 

Am 27.09.2013 bringen Gerret und ich meine Rösser zum Kursort, wie immer die Hardt-Ranch (s. http://hardt-ranch.de/) in Graben-Neudorf. Kleines Highlight mit Kurti: der steigt, ohne daß es beabsichtigt war, von alleine in den Hänger. So schnell kann ich gar nicht schauen, da steht er schon drin. Irre, der Bub. :-) Beide beziehen auf der Hardt-Ranch Paddockboxen, allerdings nicht nebeneinander, aber über eine Box in der Mitte in Sichtweite. Kurti hat jedoch gleich am ersten Abend nichts anderes zu tun, als zwei der Eisenstangen, mit denen sein kleiner Balkon eingezäunt ist, zu demolieren, da die nebenan stehende Comtois-Stute zu sehr giftelt. So ein Noriker-Hinterteil hat halt Schmackes... Anschließend holen wir Jenny vom Bahnhof in Karlsruhe ab und verbringen noch einen gemütlichen Abend mit Tee auf dem Sofa bei uns.

 

Der erste Kurstag, der 28.09.2013, beginnt um 08.45 Uhr mit einer kleinen Vorstellungsrunde aller Teilnehmer. Außer mir mit dem barockbesattelten Amor nehmen ausschließlich Westernreiterinnen mit unterschiedlichen Pferden teil (jene Comtois-Stute, Quarter Horses und ein Araber sind mit am Start). Der Kurs ist so organisiert, daß wir jeweils vormittags immer Theorie mit verschiedenen Übungen ohne Pferd machen, nachmittags gibt es einzelne Reiteinheiten.

 

Jenny beginnt mit einer kurzen Einführung: was ist Alexander-Technik, wer war F. M. Alexander überhaupt, wie kam er dazu, diese Methode zu entwickeln (s.  http://de.wikipedia.org/wiki/Alexander-Technik). Wichtigster Ausgangspunkt dieser Methode ist der Kopf, der frei auf der Wirbelsäule sitzen soll. Der Kopf ist deshalb so wichtig, weil er eines jener wenigen Körperteile ist, die wir nicht wie Herz, Leber oder Niere durch ein anderes ersetzen könnten. Im Kopf befindet sich unser Gehirn - und niemand wollte doch sicherlich das Gehirn eines anderen? - scherzt Jenny. Wir gehen daher an diesem Vormittag unseren Körper von oben nach unten durch: sitzt der Kopf frei auf der Wirbelsäule, zeigt die Nase leicht nach vorne unten, damit der Nacken nicht gestaucht ist? Fallen unsere Schultern locker? Ist die Wirbelsäule aufrecht? Spüren wir unsere Sitzbeinhöcker? Hängen die Arme frei herab? Können die Schultern zur Seite hinaus wachsen? Hilfreich ist hierbei, sich ein Kreuz (Wirbelsäule = Rumpf und Schultern) vorzustellen. Sehr anschaulich wird die Theorieeinheit regelmäßig von verschiedenen Übungen unterbrochen, in denen wir alles selbst nachfühlen sollen: lümmeln wir uns eher nach vorne auf den Tisch, an dem wir sitzen (man stelle sich beispielsweise auch die Arbeit im Büro vor dem Computer vor) oder können wir frei aufrecht sitzen, den Tisch nur als Unterstützungshilfe nutzen? Tatsächlich fällt mir sofort auf, wie schnell man den Kopf in den Nacken legt, wenn man sich nach vorne beugt (Stichwort auch: Autofahren!). Die nächste Übung ist sehr intensiv: Aufstehen vom Stuhl. Das hört sich so einfach an. Aber wir sollen step by step fühlen, was in unserem Körper vorgeht: um aufzustehen, müssen wir unseren Oberkörper leicht nach vorne verlagern, hierbei ist es unnötig, den Kopf in den Nacken zu legen, dieser bleibt weiterhin in Verlängerung der Wirbelsäule. Man verlagert das Gewicht mehr auf die Füße und steht langsam auf. Es ist unnütz, mehr Muskeln anzuspannen, als man doch tatsächlich "nur" dafür braucht. Schwieriger ist dann schon das Hinsetzen. Man soll sich nicht auf den Stuhl fallenlassen, sondern jederzeit im Gleichgewicht, in Balance sein.

 

Und genau darum geht es insbesondere beim Reiten. Ich bin mittags die erste, die nach einem gemütlichen Mittagessen vom Pizzaservice, das wir wegen des schönen Wetters draußen einnehmen, in den Sattel steigt. Jenny steht auf einem Tritthocker neben mir und Amor, geht wie am Vormittag meinen Körper von oben nach unten durch: Kopf, Nacken, Schultern, Wirbelsäule, Arme, Becken, Beine. Sie nimmt hierzu beispielsweise auch meine Hand, ich soll komplett "loslassen", sie meine Hand führen lassen - verteufelt schwer! Immer wieder höre ich, wie ich loslassen oder durch die Hand "ausatmen" soll - was mir leicht fällt, da ich es schon vom Yoga her kenne. Sehr interessant wird es, als Jenny meine Oberschenkel, die Knie und Unterschenkel "behandelt", wobei sie meine Füße aus den Steigbügeln nimmt und immer nur ganz leichte, sanfte Bewegungen mit diesen ausführt. Sie stellt meinen rechten Fuß wieder in den Steigbügel: Haaallooooo??? Wurde der Steigbügel verkürzt????? Irre, mein Bein ist viel länger geworden, nachdem ich "losgelassen" habe. Wie Jenny während des Kurses auch einmal anmerkt, ist sie während ihrer Ausbildung zum Alexander-Technik-Trainer 2 cm "gewachsen". :-)))) Daß sich diese Lockerungsübungen sofort auf Amor auswirken, überrascht mich: ohne, daß ich den Zügel in der Hand habe, kaut das Pony mehrmals ab.

 

Nach 15-20 Minuten Lockern gehts ans Reiten, Jenny nimmt mich zunächst an die Longe. Ich soll nicht aktiv eingreifen, nur locker sitzen, fühlen. Ich rufe mir hierbei immer die Details der Theorie in Erinnerung: lockerer Kopf, lockerer Nacken, wachsen die Schultern zur Seite? Beim Trab soll ich locker im Becken mitschwingen, immer wieder ermahnt mich Jenny, meine Arme locker zu tragen. Jenny gibt mir auch Tipps zum Mitschwingen im Becken: ich soll mir vorstellen, daß mein Becken wie ein Rad rückwärts läuft. Ist das Rad kleiner, kann ich Amors Schritte verkürzen, ihn langsamer machen. Ist das Rad größer, werden seine Schritte länger. Erst, nachdem ich mir das auch bildlich vorstelle, klappts. Toll! *freu* Ich spüre auch, wie ich Amor das erste Mal durch dieses Verkürzen und wieder Zulegen dazu bringen kann, den Takt bei größer werdenden Tritten zu halten, wodurch ja auch sein Rücken mehr zum Schwingen kommt. Dann ist die erste Einheit auch schon vorüber. Viel Input!

 

Mittags möchte ich eigentlich mit Kurti eine kleine Runde spazierengehen, aber wir kommen nicht allzu weit: auf dem Hof ist viel Betrieb, viele Leute, viele Pferde, viele Autos. Also lasse ich es dabei, ihn draußen kurz ein paar Grashalme zupfen zu lassen, dann kommt er wieder in die Paddockbox.

 

Nachdem alle ihre 45-minütigen Reiteinheiten absolviert haben, gehen wir abends zum direkt gegenüber der Hardt-Ranch liegenden Thailänder Essen, fallen dann um 22.00 Uhr ins Bett.

 

Am nächsten Morgen, der Stallbetreiber hat mich kurz darüber informiert, daß Herr Kurt noch eine weitere Eisenstange geschrottet hat *zerknirschtguck*, startet Jenny die Theorie mit einer kurzen Wiederholung des gestern Gesagten. Heute soll es dann mehr ums Atmen und wie wir den Atem auch für die Hilfengebung auf dem Pferd nutzen können, sowie um den weiteren Weg der Alexander-Technik gehen. Wieder ist die Theorie ständig unterbrochen von Übungen, damit wir selbst nachfühlen können, uns einfühlen können. Wie funktioniert überhaupt unsere Atmung? Wir atmen in die Lunge, aber wieso wölbt sich dann auch unser Bauch? Jenny erklärt, daß hierbei durch die Lunge unser Zwerchfell nach unten gedrückt wird, so daß sich die dort liegenden Organe Platz verschaffen müssen. Aha, war mir auch neu - witzig, da macht man das sein Leben lang und weiß nix davon. Wir können das Atmen gerade auf dem Pferd für mehr Energie nutzen, aber auch, um Energie abzubauen. Letzteres war mir schon geläufig, ersteres muß ich mir erst einmal vorstellen: wir sollen, bevor wir losgehen, einatmen und beim Losgehen ausatmen, die Energie zum Nach-vorne-Laufen nutzen. Gleichermaßen kann man es umdrehen, indem man vor dem Anhalten einatmet und beim Anhalten ausatmet - was ich immer beim Anhalten beim Reiten nutze.

 

Als nächste Übung steht auf dem Programm, wie unser Körper unseren Augen folgt - vor allem beim Abwenden auf dem Pferd ja wichtig. Um das näher zu erfahren, gehen wir in die Reithalle und laufen dort unsere Volten und Zirkel: zuerst sollen die Augen nach rechts schauen, dann dreht sich der Kopf, dann der Schultergürtel, etc. - was auf dem Pferd ja aber meistens schon gar nicht notwendig ist. Durch die Übungen in der Reithalle fällt mir sofort auf, wie wenig ich tun muß, damit ich selbst größere oder kleinere Kreise laufe.

 

Wie kann ich die Alexander-Technik nun weiter in meinen Alltag integrieren? Jenny bringt ein einfaches Beispiel, indem sie einer Teilnehmerin einen Ball zuwirft, die diesen reflexartig auffängt. Sie hat ihrem Reflex nachgegeben. Die Alexander-Technik soll dabei helfen, diese Gewohnheit zu erkennen und eventuell umzubauen. Das muß trainiert werden, indem man, bevor man einem Reflex nachkommt, ein Zeitfenster öffnet, sich kurz bewußt macht, was man nun tun will oder tut und dies bewußt tut. Beispiel: aufstehen. Man soll nicht einfach aufstehen, weil Jenny uns zuruft: "Aufstehen!", sondern zuerst kurz innehalten, sich und seinen Körper organisieren und dann kontrolliert aufstehen, indem man auch nur jene Muskeln nutzt, die man braucht - nicht mehr. Hierbei sollte man auch auf keinen Fall zu sehr auf das Ziel fixiert sein, denn der Weg dorthin ist wichtiger.

 

Als letzte Übung zeigt uns Jenny das konstruktive Liegen. Hierzu legen wir uns alle auf unsere mitgebrachten Gymnastikmatten, der Kopf ruht auf einem oder mehreren Büchern, damit er sich in der Verlängerung der Wirbelsäule befindet, die Füße sind aufgestellt und recht nah am Po, die Knie könnten, wenn sie wollen, eher nach innen fallen, die Augen bleiben offen, die Hände liegen leicht seitlich auf dem Bauch und fühlen die Atmung. So läßt es sich leicht völlig entspannt liegen. Jenny geht herum, berührt uns hier oder dort. Durch die kleinen Berührungen kann man nochmals mehr loslassen.

 

Nach einem leckeren Mittagessen, diesmal gabs Nudeln vom Pizzaservice, bin ich wieder die erste, die ihre Reiteinheit absolviert. Ich probiere gleich einmal das Abwenden über die Augen aus: ich schaue nach rechts, nehme den Kopf leicht mit, brauche meistens nicht einmal großartig die Schultern bewegen: Amor wendet. :-) Soll er wieder geradeaus gehen, erfolgt die Hilfengebung rückwärts: zuerst richten sich die Schultern gerade, dann der Kopf, dann die Augen.

 

Ich habe Jenny gebeten, mal nach unserem Galopp zu sehen, denn das ist immer noch jene Gangart, in der ich mich am wenigsten entspannen kann, und außerdem spüre ich immer noch nicht, ob Amor nun Links- oder Rechtsgalopp geht. Ich erhoffe mir, daß mir die Alexander-Technik hier ein Türchen öffnet. Außerdem kommt mir Jennys Vorgabe für dieses Wochenende dazu sehr entgegen: egal wie das Pferd nun läuft, es kommt jetzt erst einmal auf meinen Sitz an. Gut. Mein Kopf wird sofort freier. ;-) Letzten Endes wird sich ein zentrierter, losgelassener Sitz auch in der Bewegung des Pferdes zeigen, wie ich ja gestern mittels der "Rädchen"-Übung schon gemerkt habe. Also galöppeln Amor und ich mehr oder weniger losgelassen durch die Halle. Amor stützt sich wie immer sehr stark auf seinen Hals ab, wuchtet sich damit umher. So drehen wir erst einige Runden Zirkelvergrößern und -verkleinern im Trab. Mit Jennys Hilfe kann ich hierbei auch fühlen, wie Amor sich langsam an den äußeren Zügel herandehnt. Gut, der Galopp ist nun nicht gerade "unsere" Übung, aber ich konnte trotzdem einiges mitnehmen.

 

Abends beim Heimfahren: auch hier steigt Herr Kurt alleine in den Hänger. Mensch, klasse! Zu Hause tigern beide erst einmal auf die Weide: endlich wieder freie Bewegung! Wir räumen so lange auf.

 

Fazit: Toller Kurs mit viel Gefühl. Jenny kann nicht nur tolle Forums-Postings schreiben, sondern auch im Reallive sehr gut erklären und einem viel mitgeben. Alle Teilnehmer waren so sehr begeistert, daß umgehend der Wunsch nach kurzfristiger und regelmäßiger Wiederholung laut wurde. Also werden wir uns an die Terminsuche machen. ;-)

 

Bei mir hat sich der Kurs auch bereits im Alltag niederschlagen können: sofort am nächsten Tag im Büro habe ich sehr, sehr oft bemerkt, wie ich mich vor dem PC lümmle, den Kopf in den Nacken lege. Auch beim Autofahren wurde mir oft bewußt, wie "unorganisiert" ich im Auto sitze. Immer wieder habe ich mich aufgerichtet, innegehalten, nachgefühlt. Es wird noch dauern, bis sich auch meine Muskulatur umgewöhnt hat. Aber vieles wird dann leichter sein.

 

Während ich diesen Bericht tippe, denke ich, daß ein Tee jetzt nicht schlecht wäre. *schwupp* Ich stehe auf und gehe in die Küche. *soifzt* Wie war das mit dem Zeitfenster und dem Innehalten? Der Weg ist das Ziel.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0